4. Diskussion

Das vorangegangene Beispiel hat gezeigt, dass Manager den finanziellen Wert ihres Unternehmens maximieren, wenn sie die NPV-Regel befolgen und nicht die spezifischen Konsumpräferenzen der Investoren in den Vordergrund stellen. Die Investoren können durch den Kauf und Verkauf von Aktien (oder die Aufnahme von Krediten) auf den Kapitalmärkten die für sie optimale Mischung aus aktuellem und künftigem Konsum selber finden.

Die NPV-Regel ist leicht verständlich und ausgesprochen wirkungsvoll. Allerdings ist es wichtig zu verstehen, dass sie auf der Annahme beruht, dass die Anleger Zugang zu gut funktionierenden Kapitalmärkten haben. Dies ist eine derart wichtige Annahme, dass wir sie noch einmal betonen müssen: Wann immer wir die NPV-Regel (und die dieser Regel zugrunde liegende Discounted Cashflow-Analyse) anwenden, gehen wir davon aus, dass die Anleger Zugang zu wettbewerbsintensiven Kapitalmärkten haben und auf diesen Märkten ihre eigene "Dividendenpolitik" umsetzen können!

Dies Annahme scheint im Falle grosser etablierter Unternehmen zu sein, deren Aktien auf einem liquiden Aktienmarkt gehandelt werden. Denken Sie zum Beispiel an Apple, General Motors oder Royal Dutch Shell. Jedes dieser Unternehmen hat Tausende, wenn nicht Millionen von Aktionären mit einem hervorragenden Marktzugang. Es gibt keinen Grund für die Manager von Apple, sich zu sehr auf die Konsumpräferenzen ihrer einzelnen Aktionäre zu konzentrieren. Sie sollten sich an unsere einfache Regel der Wertmaximierung halten und es den Kapitalmärkten überlassen, den Zeitpunkt des Konsums zu bestimmen.

Aber was ist mit kleineren, in Privatbesitz befindlichen Unternehmen? Hier ist die Situation weniger klar. Tatsächlich ist es relativ einfach, sich Szenarien auszudenken, in denen die Kapitalmärkte nicht reibungslos funktionieren und daher die Kapitalwertregel in Frage stellen:

  • Eigentümerkontrollierte Unternehmen: Stellen Sie sich vor, dass Onkel Fred aus dem vorherigen Beispiel der Gründer und Mehrheitsaktionär des Unternehmens ist. Er möchte keine Anteile verkaufen, weil er das Unternehmen unter seiner Kontrolle behalten möchte. Da das Unternehmen nicht börsennotiert ist, haben seine Aktien einen niedrigen Beleihungswert, so dass er den Konsum heute nicht mit Krediten gegen seine Aktien finanzieren kann. In einer solchen Konstellation ist es denkbar, dass Onkel Fred den CEO dazu drängt, auf das Projekt zu verzichten, auch wenn diese Entscheidung den Unternehmenswert senkt. Da die Finanzmärkte nicht reibungslos funktionieren, wird es schwierig sein, die Präferenzen von Onkel Fred und Trisha in Einklang zu bringen!
  • Unternehmen in Privatbesitz im Allgemeinen: Die gleiche Logik lässt sich auch auf Unternehmen in Privatbesitz verallgemeinern. Bei diesen Unternehmen ist es oft unmöglich, Aktien zu kaufen und zu verkaufen, auch weil die Übertragung im Allgemeinen durch einen Aktionärsvertrageingeschränkt ist. In Ermangelung eines liquiden Aktienmarktes ist nicht klar, ob Aktionäre mit unterschiedlichen Konsumpräferenzen sich auf die optimale Investitionspolitik des Unternehmens einigen können.
  • Neugründungen und innovative Projekte: Es ist auch nicht klar, ob sich die Anleger auf den Kapitalwert des betreffenden Projekts einigen werden. Nehmen wir den Fall eines Start-ups mit einer innovativen Geschäftsidee. Sehr oft sind die Unternehmer sehr viel optimistischer, was ihre Projekte angeht, und schätzen daher ihre Firmen höher ein als potenzielle Investoren. In unserem Beispiel könnte es sein, dass externe Investoren die angenommene Projektauszahlung von 25 Millionen Dollar in einem Jahr für übertrieben halten. Folglich korrigieren sie die Bewertung nach unten, was es schwierig macht, sich mit Onkel Fred auf einen Preis zu einigen. Diese Probleme sind besonders ausgeprägt in Situationen, in denen es nur einen Unternehmer und einen Investor gibt. 
  • Steuern und andere Marktfriktionen: Auch die Steuern könnten einen Strich durch die Rechnung machen. Unterschiedliche Anteilseigner könnten einer unterschiedlichen Besteuerung unterliegen und daher unterschiedliche Auszahlungspräferenzen haben.

 

All diese Situationen sind real. Tatsächlich gibt es vergleichsweise wenige Unternehmen mit "ungehindertem" Zugang zum Kapitalmarkt. In den USA zum Beispiel werden nur etwa 3'700 der rund 5.9 Millionen Unternehmen öffentlich gehandelt. Das ist etwa 1 von 1'600 Unternehmen! In der absolut überwiegenden Mehrheit der Unternehmen reicht es deshalb oft nicht aus, "blind" die NPV-Regel zu befolgen. Um eine für die Mehrheit der Aktionäre geeignete Anlagepolitik zu finden, muss die NPV-Regel vielmehr mit Überlegungen zu den Risiko- und Liquiditätspräferenzen der Anleger kombiniert werden. 

Zahlreiche Module auf dieser Plattform befassen sich mit diesen wichtigen Überlegungen oder "Friktionen" auf den Kapitalmärkten. Zum Beispiel:

  • Capital Structure Decisions untersucht, wie Steuern und andere Nebeneffekte der Finanzierung in Finanzierungsentscheidungen eingebaut werden können (Englisch);
  • Payout Policy zeigt die wichtigsten Abwägungen bei der Festlegung der Ausschüttungspolitik und präsentiert dazu einen strukturierten Ansatz für eine nachhaltige Ausschüttungspolitik (Englisch);
  • Startup Financing and Deal Structuring zeigt, wie wir Deals klüger machen können, indem wir die unterschiedlichen Erwartungen der Vertragsparteien in den Deal einschliessen (Englisch).