5. Herausforderungen mit dem IRR

5.2. Projekte mit mehreren IRR

Es ist nicht immer einfach zu erkennen, ob es sich bei einem Projekt um eine Investition (hoher IRR ist gut) oder eine Finanzierung (tiefer IRR ist gut) handelt. Der Grund dafür ist, dass bestimmte Projekte eine Mischung aus Investition und Finanzierung sein können. Dies stellt die IRR-Regel vor Herausforderungen, wie das folgende Beispiel zeigt:

 

Beispiel 4

Betrachten wir das folgende Projekt C. Sollten wir das Projekt realisieren?

 

Projekte mit mehreren IRR

 

Wenn wir im Excel den IRR berechnen, resultiert ein Wert von 13.7%. Eine rasche Überprüfung zeigt, dass bei Kapitalkosten von 13.7% der NPV des Projekts tatsächlich 0 ist:

 

\( NPV_{13.7\%} = -5'000 + \frac{13'600}{1.137} - \frac{9'000}{1.137^2} = 0 \)

 

Doch wie ist dieser IRR jetzt zu interpretieren? Nehmen wir an, die Kapitalkosten betragen 10%. Sollten wir  das Projekt annehmen, weil sein IRR höher als 10% ist und wir glauben, dass Projekt C die Merkmale eines Investitionsprojekts aufweist? Oder sollten wir das Projekt verwerfen, weil es sich bei Projekt C um ein Finanzierungsprojekt handelt und es in diesem Fall billiger wäre, ein Darlehen zum Marktzins von 10 % aufzunehmen?

 

Diese Fragen stellen sich, weil das Projekt ein ganz besonderes Cashflow-Muster aufweist. Es beginnt und endet mit Mittelabflüssen und hat dazwischen einen erheblichen Mittelzufluss. Ein solches Cashflow-Muster könnte typisch sein für Projekte, die am Ende ihrer Lebensdauer erhebliche Rückbaukosten verursachen. Nehmen wir zum Beispiel ein Kernkraftwerk. Bei Projektende kann ein solches Kraftwerk nicht einfach abgeschaltet werden und alle gehen nach Hause. Die Stilllegung eines solchen Kraftwerks kann Jahre dauern und Hunderte von Millionen Dollar kosten. Ein Beispiel dafür ist das Kernkraftwerk Yankee Nuclear Power Plant in Massachusetts, dessen Stilllegung 15 Jahre dauerte und mehr als 600 Millionen Dollar kostete.

 

Bei Projekt C zeigt sich, dass bei einem Diskontsatz von 0% ein negativer NPV resultier: Wenn die Kapitalkosten gleich Null sind, entspricht der NPV des Projekts der Summe seiner Cashflows, die im Fall von Projekt C -400 beträgt [= -5'000 + 13'600 - 9'000]. Ebenso ist zu erwarten, dass bei sehr hohen Diskontsätzen der Present Value aller künftigen Zahlungsströme derart gering ist, dass sie die heutige Investition nicht rechtfertigen. Es stellt sich also die Frage, ob der NPV des Projekts durchgehend negativ ist oder ob es eine Bandbreite von Diskontsätzen gibt, die zu einem positiven NPV führen.

  

Um diese Frage zu beantworten, können wir das NPV-Profil von Projekt C als Funktion des Diskontsatzes darstellen:

  

Projekte mit mehreren IRR

 

Es stellt sich heraus, dass das Projekt zwei IRR hat: IRR1 ist 13.7% (siehe oben) und IRR2 ist 58.3%. Wenn der relevante Diskontsatz für das Projekt irgendwo zwischen 13.7% und 58.3% liegt, ist das Projekt wertschöpfend und wir sollten es weiterverfolgen. Bei einem niedrigeren oder höheren Kapitalkostensatz ist der Kapitalwert des Projekts jedoch negativ!

  

Wenn man nur die Cashflows und den IRR betrachtet, ist es sehr schwierig, eine verlässliche Investitionsentscheidung für Projekt C zu treffen. Das Problem entsteht, weil die Cashflows zweimal das Vorzeichen wechselt. Theoretisch kann ein Projekt so viele IRR haben wie algebraische Vorzeichenwechsel. Bei Projekten mit solchen wechselnden Cashflow-Richtungen sollte man daher besonders vorsichtig sein, wenn man den IRR verwendet.